Aufarbeitung als Verpflichtung
Auf der Gedenkveranstaltung vom 29. Oktober 2025 betonten Vertreter der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) die Bedeutung einer offenen und selbstkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.
Martin Hendges, Vorsitzender des Vorstands der KZBV, mahnte, dass es nicht nur um historische Fakten und Erinnerung gehe, sondern auch um Haltung: „Diese Aufarbeitung ist mehr als Rückschau – sie ist Verpflichtung. Wir stehen als Berufsstand in der Verantwortung, aus der Geschichte zu lernen und uns jeder Form von Antisemitismus, Ausgrenzung und Menschenverachtung entschieden entgegenzustellen.“
Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, betonte in seiner Rede die Bedeutung der Veranstaltung als klares Zeichen der Verantwortung und der lebendigen Erinnerungskultur. Die historische Aufarbeitung habe gezeigt, wie tief die Verstrickungen der Zahnmediziner reichten. Aufarbeitung sei aber nicht nur Vergangenheitsbewältigung, sondern auch Erneuerung. „Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wofür er steht,“ sagte Klein und betonte, wie wichtig die mittlerweile vollzogene Implementierung von medizinhistorischer Lehre über die Rolle der Zahnärzteschaft in der NS-Zeit für Studierende der Zahnheilkunde ist.
Respekt für klare Worte und Verantwortung
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, dankte in einer Video-Botschaft Professor Dominik Groß von der RWTH Aachen für „seine unermüdliche Initiative, wissenschaftliche Präzision und Hartnäckigkeit“. Dass sich die organisierte Zahnärzteschaft mehr als 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus ihrer eigenen Verantwortung stelle, verdiene Respekt. Sie begegne der Tatsache, dass sich Teile des Berufsstandes seinerzeit zu Handlangern des NS-Terrorregimes gemacht haben, „nicht mit Floskeln oder Alibis, sondern mit klaren Worten, mit Forschung und mit öffentlicher Erinnerung“. Das sei alles andere als selbstverständlich.
Verstrickungen der Zahnärzteschaft in das NS-Unrechtssystem
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Zahnärzteschaft im Nationalsozialismus – ein Thema, das lange als blinder Fleck der Medizingeschichte galt. Erst das von den drei Spitzenorganisationen geförderte und von Wissenschaftlern der RWTH Aachen und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchgeführte Forschungsprojekt „Zahnmedizin und Zahnärzte im Nationalsozialismus“ (2016–2019) machte sichtbar, wie tief der Berufsstand in das NS-Unrechtssystem verstrickt war und wie viele Kolleginnen und Kollegen zugleich Opfer von Entrechtung und Verfolgung wurden. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts wurden bereits im Jahr 2019 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von KZBV, BZÄK und DGZMK vorgestellt. Als Konsequenz der Erkenntnisse hat die DGZMK unter anderem Preise und Medaillen umbenannt. Das Thema Zahnmedizin im Nationalsozialismus wird inzwischen in der Umsetzung der neuen zahnärztlichen Approbationsordnung an den Universitäten gelehrt. Die drei Organisationen verpflichteten sich, die weitere historische Forschung und Aufarbeitung institutionell und finanziell zu unterstützen. Mit dieser Anschubfinanzierung ist 2019 das mehrbändige Lexikonprojekt gestartet.
Ein Herzensprojekt gegen das Vergessen
Die im Rahmen des Forschungsprojektes dokumentierten Biografien von Tätern, Mitläufern und Opfern unter den Zahnärzten während der NS-Zeit erscheinen in einem auf acht Bände ausgelegten Personenlexikon. Nach den ersten drei Bänden (2022, 2023 und 2024) wurde anlässlich der Gedenkfeier der vierte Lexikonband präsentiert. Für Professor Dr. mult. Dominik Groß, Autor des mehrbändigen Lexikons, ist dieses Projekt „eine echte Herzensangelegenheit“, der er sich seit rund 15 Jahren widmet. Allein der vierte Lexikonband umfasst über 1.300 Seiten und enthält 640 weitere Biografien. Das Lexikonprojekt führt mit seiner Fertigstellung zu dem umfassendsten Nachschlagewerk der NS-Aufarbeitung einer Berufsgruppe.
Auszeichnung für historische Forschung
Im Rahmen der Veranstaltung wurde außerdem erstmals der Hans- Türkheim-Preis verliehen, den die DGZMK für herausragende wissenschaftliche Arbeiten zum Themenfeld „Zahnheilkunde und Zahnärzteschaft im Nationalsozialismus“ stiftet. Namensgeber des Preises ist der in Hamburg geborene, jüdische Hochschullehrer Hans Türkheim, der aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1936 nach Großbritannien fliehen musste und in London eine private Zahnarztpraxis eröffnete.
Preisträgerin ist Dr. med. Lisa Bitterich von der RWTH Aachen, die in ihrer kumulativen Promotion vier international beachtete Studien veröffentlichte – unter anderem über das Verhältnis zahnärztlicher Hochschullehrer zum Nationalsozialismus.
Zahnärzteschaft gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus
Erinnerung als dauerhafte Verpflichtung
Den vollständigen Wortlaut der gemeinsamen Pressemitteilung von KZBV, BZÄK und DGZMK zur Gedenkveranstaltung in Berlin, mir der die deutsche Zahnärzteschaft an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und ihre eigene historische Verantwortung erinnerte, können Sie auf der Website der KZBV einsehen. Nachfolgend können Sie die Pressemitteilung auch als PDF-Datei herunterladen.
Pressemitteilung auf kzbv.de
Pressemitteilung als PDF-Datei