Gesundheitspolitik

KZBV: Gesundheitsgesetze benötigen Versorgungsnähe und Augenmaß

Die Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) kritisiert deutlich die Unzulänglichkeiten der aktuellen Gesetzesvorhaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und fordert eine durchdachte und in sich schlüssige Gesundheitspolitik mit Augenmaß, die Selbstverwaltung und Berufsstand die nötigen Handlungsspielräume ermöglicht.
Von KZBV
Erstellt am 07.11.2024
Ein richtungsweisendes weißes Schild mit der Aufschrift „Bundesministerium für Gesundheit“ vor einem hellblauem Himmel mit leichter Bewölkung. © Zerbor – stock.adobe.com

Zerstörung bewährter Strukturen im Gesundheitswesen

Die KZBV-Vertreterversammlung, die seit gestern und noch bis heute (6. bis 7. November 2024) in Bonn tagt, sieht erhebliche Mängel bei den Gesetzgebungsverfahren des BMG. Der von Lauterbach angekündigte „Herbst der Reformen“ zur Verbesserung der Patientenversorgung scheitert nach ihrer Ansicht bereits an handwerklichen Mängeln der Gesetze. Sie wirft Minister Lauterbach vor, mit seinen Ansätzen lediglich Pro-forma-Lösungen zu schaffen, die Versorgungsrealität dabei jedoch zu ignorieren. Vor allem aber kritisieren die Vertreterinnen und Vertreter der Vertragszahnärzteschaft, dass der Bundesgesundheitsminister mit seinen Gesetzen bewährte Strukturen im Gesundheitswesen nachhaltig zerstöre und immer stärker sowohl in die Arbeit der Praxen als auch in die der Selbstverwaltung eingreife.

„Die Pläne der Politik, die Herz-Kreislauf-Gesundheit in der Bevölkerung zu stärken, sind grundsätzlich begrüßenswert. Jedoch wird der Präventionsgedanke im vorliegenden Gesetzentwurf nicht konsequent zu Ende gedacht. Vorsorge kann nur dann erfolgreich funktionieren, wenn ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt wird, der auch die Mundgesundheit berücksichtigt. Wir fordern daher, dass die Leistungen für die neue, präventionsorientierte Parodontitistherapie im Rahmen des ‚Gesundes-Herz-Gesetz‘ als Früherkennungs- und Vorsorgeleistungen anerkannt und vollumfänglich vergütet werden. Nur dann können die Patientinnen und Patienten ein Versorgungsangebot in Anspruch nehmen, das ihnen zusteht und dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht“, stellte Martin Hendges, KZBV-Vorstandsvorsitzender, klar.

Dass die aktuellen Gesetzentwürfe ihrem Namen nicht gerecht werden, zeige sich auch an anderer Stelle, sagte Hendges. So liege bis heute im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz kein einziger Regulierungsvorschlag vor, um die Gefahren für die Patientenversorgung, die von investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) ausgehen, endlich wirksam einzudämmen. Die Vertreterversammlung appelliert nachdrücklich an die politischen Entscheidungsträger, die Vorschläge der KZBV zur Regulierung der iMVZ endlich aufzugreifen. Dazu sollte neben einer räumlichen zusätzlich eine fachliche iMVZ-Gründungsbeschränkung für Krankenhäuser gesetzlich verankert werden.

Digitalisierung benötigt ausgereifte Technik und faire Finanzierung

Deutlich nachgebessert werden müsse auch bei den Digitalisierungsprojekten. Dr. Karl-Georg Pochhammer, stellv. Vorstandsvorsitzender der KZBV, betonte, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) seine Ansprüche zur Einführung der weiterentwickelten elektronischen Patientenakte (ePA für alle), deren bundesweiter Start für Februar 2025 geplant ist, an die Realität anpassen müsse. „Damit dieser Termin gehalten werden kann, soll die ‚ePA für alle‘ in nur vier Wochen in den TI-Modellregionen Hamburg und Franken getestet werden. Selbst im BMG kann niemand davon überzeugt sein, dass dieser Zeitplan aufgeht.“ Die Vertreterversammlung fordert deshalb eine Verschiebung des Einführungstermins und eine Testphase, in der die Qualität und nicht der Termin im Vordergrund stehe. „Die ‚ePA für alle‘ muss schnell und reibungslos in der Praxissoftware funktionieren. Das ist durch Funktionstests nachzuweisen. Erst dann kann sie ausgerollt werden“, so Pochhammer, der das BMG auch in Sachen Finanzierung in die Pflicht nahm: „Wer das Projekt andenkt und antreibt, der muss auch dafür sorgen, dass die Arbeit, die andere damit haben, anständig bezahlt wird. Die Kosten, die den Zahnarztpraxen in Bezug auf die ePA entstehen, müssen refinanziert werden.“ 

Dass erbrachte Leistungen ab Januar nur abgerechnet werden dürfen, wenn die Praxen hierfür Praxisverwaltungssysteme (PVS) einsetzen, die erfolgreich ein Zertifizierungsverfahren durchlaufen haben, lehnt die Vertreterversammlung strikt ab. Dr. Ute Maier, stellv. KZBV-Vorstandsvorsitzende, machte deutlich: „Die Verfahren zur Zertifizierung, Beauftragung, Akkreditierung sowie eine Verfahrensordnung sind derzeit noch reine Theorie und zugelassene Aktensysteme für eine marktreife Programmierung und Erprobung stehen den PVS-Herstellern überhaupt nicht zur Verfügung.“ Zudem müssten Umsetzungsprozesse in den Praxen berücksichtigt werden, damit das zertifizierte PVS praxistauglich funktioniert; die Mitarbeitenden müssten entsprechend geschult werden. „Das als Sanktion für die Praxen vorgesehene Abrechnungsverbot bei Nichterfüllung der Zertifizierung ist potenziell existenzgefährdend und geeignet, die Gesundheitsversorgung weiter zu destabilisieren. Aus diesem Grund lehnen wir es eindeutig ab“, betonte Maier.  

Barrieren abbauen mit positiven Anreizen

Gegenstand der standespolitischen Diskussion war auch das Vorhaben des BMG hinsichtlich eines Aktionsplans für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen. Um diesen umzusetzen, müsse der Staat seiner Verantwortung sachgemäß und zielführend gerecht werden. Dies dürfe nicht zulasten der Zahnärzteschaft gehen, so Hendges. Eine verbesserte Inklusion, Diversität und ein barrierearmer Zugang zum Gesundheitswesen werde grundsätzlich unterstützt, Verpflichtungen für alle Praxen oder gar Sanktionen seien aber strikt abzulehnen. Es gelte stattdessen, positive Anreize zu schaffen, mit denen die Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber die Barrierearmut ihrer Praxen freiwillig verbessern, und sie dahingehend mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen. „Verpflichtende, strenge Vorgaben für die Barrierearmut von Zahnarztpraxen bedrohen die Existenz vieler Praxen und erschweren die Übergabe an mögliche Nachfolger deutlich. Damit droht ein erheblicher Schaden für die Versorgung aller Versicherten, wenn gesetzliche Maßnahmen zur frühzeitigen Schließung von Praxisstandorten führen“, warnte Hendges.

Zwei Tage diskutiert die Vertreterversammlung in Bonn standespolitische Themen und fasst richtungsweisende Beschlüsse. Diese sowie die Reden der Vorstandsmitglieder stehen in Kürze auf der Website der KZBV zur Verfügung.

Hintergrund: Die Vertreterversammlung der KZBV

Die Vertreterversammlung ist das wichtigste Selbstverwaltungsorgan der KZBV und zugleich oberstes Entscheidungsgremium der knapp 63.000 Zahnärztinnen und Zahnärzte, die an der vertragszahnärztlichen Versorgung in Deutschland teilnehmen. Sie hat 60 Mitglieder: Gesetzlich vorgeschriebene Mitglieder sind die oder der Vorsitzende jeder KZV und eine Stellvertretung.

Stellungnahme der KZBV-Vertreterversammlung

Hier geht es zur Pressemitteilung mit der Stellungnahme der Vertreterversammlung zu den BMG-Gesetzesvorhaben auf den Seiten der KZBV.